Ukraine-Krieg: Ein Jahr Widerstandskraft

Auf dem Bild ist ein Mädchen mit einem Ball in der Hand zu erkennen. Sie steht in einem Raum voller Matratzen.
Vor einem Jahr sah die Welt zu, wie sich der Krieg in der Ukraine ausbreitete. Während der Konflikt weiter wütet und kein Ende in Sicht ist, sehen wir bei War Child die Kinder hinter den Schlagzeilen – und ihre große Widerstandskraft.

Die ersten Stunden des Krieges

Tag 1: Wir schalten unsere Fernseher ein und sehen ungläubig zu, wie Raketen auf große Städte in der Ukraine niedergehen.

Tag 2: Offizielle Stellen warnen, dass es sich um den größten Krieg in Europa seit 1945 handeln könnte. Tag

5: Mitarbeiter von War Child reisen nach Moldawien und Rumänien, um herauszufinden, was Kinder und Familien, die über die Grenze fliehen, gerade am dringendsten benötigen.

Was wir damals sahen, war ein eindeutiger Hinweis auf das, was noch kommen würde. Bis Anfang März waren mehr als 830.000 Menschen aus der Ukraine geflohen, was zu einem Zustrom von Geflüchteten in die benachbarten Länder führte – ein Ansturm, dem diese Länder einfach nicht gewachsen waren.

Ein enormes Pensum psychischer Belastung

„Was wir in diesen ersten Tagen sahen, war ein enormer Bedarf an Nahrungsmitteln, Wasser und Unterkünften – die Grundvoraussetzungen für das Überleben“, sagt der Geschäftsführer von War Child, Ramin Shahzamani. „Aber auch Kinder und Familien, die in provisorischen Häusern und Unterkünften ankamen und alle Anzeichen von psychischer Belastung zeigten.“
„Uns wurde klar, dass die meisten Menschen, die diese Familien aufnahmen – selbst die gemeinnützigen Organisationen und das Gesundheitspersonal – noch nie einen Krieg erlebt hatten“, so Shahzamani weiter. „Sie waren also nicht in der Lage, diese spezielle Art von Hilfe zu leisten.“

In diesen ersten Monaten öffneten wir unsere Türen für mehr als 900 Menschen. Und all diese Menschen kamen mit ihren eigenen Geschichten – Geschichten, die auch mein Team durchlebt hat.

Eleonora Kulcar, Direktorin von BLAHO, einer auf Bildung spezialisierten Organisation in der Westukraine

Unterstützung lokaler Organisationen

In den darauffolgenden Wochen hat War Child schnell gehandelt und lokale Organisationen in psychologischer Erster Hilfe und anderen psychosozialen Unterstützungsmaßnahmen geschult sowie eine Reihe von sicheren Räumen in Rumänien, Moldawien und anderen wichtigen Aufnahmeländern eingerichtet.

Spulen wir vor zu Tag 239 des Krieges – dem Ende eines schwül-heißen Sommers. Eleonora empfängt ein Team von Psychologen, die einmal pro Woche die Unterkunft besuchen. In einem privaten Raum bieten sie Einzelberatungen für Kinder und Eltern an. Es wurden auch Kunsttherapiesitzungen eingerichtet, bei denen die Kinder malen und ihre Gefühle ausdrücken können.

„Am Anfang, als die Kinder zeichneten, waren alle Zeichnungen schwarz – schwarz, grau und rot“, erinnert sie sich. „Jetzt malen sie in allen möglichen Farben – seit sie die Sitzungen mit dem Psychologen hatten.

Ein evidenzbasierter Ansatz

In der Zwischenzeit haben wir sowohl in der Ukraine als auch in Polen, Schweden, Deutschland und anderen Ländern auf die dringenden Bedürfnisse von Geflüchteten und insbesondere geflüchteten Kindern reagiert, indem wir mehrere wissenschaftlich belegte Methoden eingeführt haben.
Unsere spiel- und bewegungsbasierte Intervention TeamUp war eine davon und wurde in acht Ländern, die Geflüchtete aufgenommen haben, eingeführt. Auch in Deutschland.
Can’t Wait to Learn – eine App für die Notfallsituation im Bildungsbereich – war eine weitere, mit der wir bis heute rund 20.000 Kinder erreicht haben.
Wir gehen noch ein wenig weiter zu Tag 284: eine Mutter sieht zu, wie ihre Tochter während eines Angriffs auf Kiew in den Tiefen einer U-Bahn-Station fieberhaft und konzentriert mit dem Mathe-Spiel in der „Can’t Wait to Learn“-App spielt.

Die angeborene Widerstandsfähigkeit von Kindern

„Resilienz“, die Widerstandskraft, ist ein Begriff, den wir in unserer Arbeit mit Kindern häufig verwenden. Aber was bedeutet er in der Praxis? „Resilienz bezieht sich auf eine gute psychische Gesundheit und gute Entwicklungsergebnisse, obwohl sie erheblichen Widrigkeiten ausgesetzt sind“, sagt Mark Jordans, Professor für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen an der Universität Amsterdam und Direktor der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von War Child. „Dies ist ein komplexer und dynamischer Prozess, der von zeit- und kontextabhängigen Variablen bestimmt wird.“

Jordans: „Die evidenzbasierten Interventionen von War Child sind alle darauf ausgerichtet, das Wohlbefinden und die Resilienz von Kindern zu fördern.“

Und genau das ist der Punkt – unsere Interventionen tragen zur Resilienz der Kinder bei, aber wir sehen es jeden Tag – Kinder sind von Natur aus resilient, von ganz alleine.

Nun haben wir Tag 365 – ein Jahr Krieg, Flucht, Schmerz, Angst, Umbruch, Verlust und all die anderen Schwierigkeiten, die Gewalt mit sich bringt.

„Und doch sind wir hier, sitzen in Cafés, arbeiten an unseren Laptops und nutzen die zwei Stunden Strom vor dem Blackout“, sagt Oleksandra Yarova, Kommunikationsbeauftragte für unsere Nothilfe und selbst Ukrainerin. „Wir reagieren auf die Luftschutzsirenen wie auf eine Feuerübung im Klassenzimmer; Familien gehen ruhig Hand in Hand zu den Luftschutzkellern, während die Luftangriffe ohrenbetäubend zu hören sind…Das ist die wahre Bedeutung von Resilienz.“

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts wurden seit Beginn des Krieges 461 Kinder getötet und 927 verletzt. 8.104.606 Menschen aus der Ukraine mussten ihre Heimat verlassen und leben aktuell in einem anderen europäischen Land. Etwa 1.035.000 davon in Deutschland.
Mehr Informationen zu unserer Arbeit in der Ukraine finden Sie in unserem Liveblog (englisch) und weitere Artikel dazu in unserem Blog.