„Während sich nächste Woche die Staats- und Regierungschef*innen der Welt bei den Vereinten Nationen versammeln, rufen wir alle Mitgliedstaaten dazu auf, gemäß dem Mandat zu handeln, das der UN vor 80 Jahren übertragen wurde.
Was wir in Gaza erleben, ist nicht nur eine beispiellose humanitäre Katastrophe, sondern das, was die UN-Untersuchungskommission nun als Völkermord eingestuft hat. Mit dieser Feststellung schließt sich die Kommission einer wachsenden Zahl von Menschenrechtsorganisationen und Führungspersönlichkeiten weltweit und innerhalb Israels an.
Die Unmenschlichkeit der Lage in Gaza ist unvorstellbar. Als humanitäre Führungskräfte haben wir das entsetzliche Sterben und Leiden der Menschen in Gaza unmittelbar miterlebt. Unsere Warnungen wurden ignoriert – und weiterhin stehen Tausende Leben auf dem Spiel.
Nun, da die israelische Regierung die massenhafte Vertreibung aus Gaza-Stadt – Heimat von fast einer Million Menschen – angeordnet hat, stehen wir, wenn nicht gehandelt wird, am Rande einer noch tödlicheren Phase in der Geschichte Gazas. Gaza wurde gezielt unbewohnbar gemacht.
Etwa 65.000 Palästinenser*innen sind bisher getötet worden, darunter mehr als 20.000 Kinder. Tausende weitere werden vermisst, sind begraben unter den Trümmern, die einst Gazas lebendige Straßen waren.
Neun von zehn der 2,1 Millionen Einwohner*innen Gazas wurden gewaltsam vertrieben – die meisten davon mehrfach – in immer kleiner werdende Landstriche, in denen kein menschliches Leben möglich ist.
Mehr als eine halbe Million Menschen hungern. Eine Hungersnot wurde ausgerufen und breitet sich weiter aus. Die kumulativen Folgen von Hunger und körperlicher Entbehrung führen dazu, dass täglich Menschen sterben.
Ganze Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, ebenso wie ihre lebenswichtige öffentliche Infrastruktur, darunter Krankenhäuser und Wasseraufbereitungsanlagen. Landwirtschaftliche Flächen wurden systematisch zerstört.
Wenn Zahlen und Fakten nicht ausreichen, gibt es noch unzählige erschütternde Geschichten.
Seit das israelische Militär vor sechs Monaten die Belagerung verschärft hat und die Lieferung von Lebensmitteln, Kraftstoff sowie Medikamenten blockiert, mussten wir mitansehen, wie Kinder und Familien durch den Hunger ausgezehrt werden, während sich die Hungersnot ausbreitete. Auch unsere Kolleg*innen sind betroffen.
Viele von uns waren selbst in Gaza. Wir haben unzählige Palästinenser*innen getroffen, die durch israelische Bombardements Gliedmaßen verloren haben. Wir haben Kinder kennengelernt, die durch die täglichen Luftangriffe so traumatisiert sind, dass sie nicht schlafen können. Einige können nicht sprechen, andere haben uns erzählt, dass sie sterben wollen, um bei ihren Eltern im Himmel zu sein.
Wir haben Familien getroffen, die Tierfutter essen, um zu überleben, und Blätter kochen, um ihre Kinder zu ernähren.
Und trotzdem handeln die Staats- und Regierungschefs nicht. Fakten werden ignoriert. Berichte werden ignoriert. Und als direkte Folge davon werden immer mehr Menschen getötet.
Unsere Organisationen können zusammen mit palästinensischen zivilgesellschaftlichen Gruppen, den UN und israelischen Menschenrechtsorganisationen nur begrenzt etwas ausrichten. Wir haben unermüdlich versucht, die Rechte der Menschen in Gaza zu verteidigen und humanitäre Hilfe zu leisten, aber wir werden dabei bei jedem Schritt behindert.
Uns wurde der Zugang verwehrt, und die Militarisierung des Hilfssystems wurde zur tödlichen Gefahr. Tausende Menschen wurden beschossen, während sie versuchten, die wenigen Orte zu erreichen, an denen unter bewaffneter Bewachung Lebensmittel verteilt werden.
Die Regierungen müssen handeln, um die Auslöschung von Leben im Gazastreifen zu verhindern und der Gewalt und Besetzung ein Ende zu setzen. Alle Parteien müssen Gewalt gegen Zivilist*innen ablehnen, das humanitäre Völkerrecht einhalten und Frieden anstreben.
Die Staaten müssen alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Mittel nutzen, um einzugreifen. Rhetorik und halbherzige Maßnahmen reichen nicht aus. Der Moment erfordert entschlossenes Handeln.
Die UN hat das Völkerrecht als Grundstein des weltweiten Friedens und der Sicherheit verankert. Wenn Mitgliedstaaten diese rechtlichen Verpflichtungen weiterhin als optional betrachten, machen sie sich nicht nur mitschuldig, sondern schaffen auch einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft. Die Geschichte wird diesen Moment zweifellos als eine Prüfung der Menschlichkeit werten. Und wir versagen. Wir versagen gegenüber den Menschen in Gaza, gegenüber den Geiseln und wir versagen gegenüber unserer eigenen kollektiven moralischen Pflicht.“
Unterzeichnende
Arthur Larok, Generalsekretär, ActionAid International
Othman Moqbel, Chief Executive Officer (CEO), Action For Humanity
Joyce Ajlouny, Generalsekretärin, American Friends Service Committee
Sean Carroll, Präsident und CEO, Anera
Reintje Van Haeringen, Geschäftsführende Direktorin, CARE International
Jonas Nøddekær, Generalsekretär, DanChurchAid
Charlotte Slente, Generalsekretärin, Danish Refugee Council
Manuel Patrouillard, Geschäftsführender Direktor, Humanity & Inclusion – Handicap International
Jamie Munn, Geschäftsführender Direktor, International Council of Voluntary Agencies (ICVA)
Waseem Ahmad, CEO, Islamic Relief Worldwide
Joseph Belliveau, Geschäftsführender Direktor, MedGlobal
Joel Weiler, Geschäftsführender Direktor, Médecins du Monde Frankreich
Nicolás Dotta, Geschäftsführender Direktor, Médecins du Monde Spanien
Christopher Lockyear, Generalsekretär, Médecins Sans Frontières International
Kenneth Kim, Geschäftsführender Direktor, Mennonite Central Committee Kanada
Ann Graber Hershberger, Geschäftsführende Direktorin, Mennonite Central Committee USA
Jan Egeland, Generalsekretär, Norwegian Refugee Council
Amitabh Behar, Geschäftsführender Direktor, Oxfam International
Simon Panek, CEO, People in Need
Inger Ashing, CEO, Save the Children International
Donatella Vergara, Präsidentin, Terre des Hommes Italien
Rob Williams, CEO, War Child Alliance


