Ukraine: Kinder mit Behinderungen im Schatten des Kriegs

Zwei Kinder stehen mit dem Rücken zum Bild. Eins hat eine Krücke
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht legt die tiefgreifenden und andauernden Schäden offen, denen Kinder mit Behinderungen in der Ukraine ausgesetzt sind.

„Invisible at the Frontline“ zeigt, wie Kinder mit Behinderungen – schon vor dem Krieg stark marginalisiert – jetzt überproportional gefährdet sind. Sie werden routinemäßig von der humanitären Hilfe ausgeschlossen.

Kinder mit Behinderungen sind zur unsichtbaren Frontlinie dieses Krieges geworden. Ihre Bedürfnisse gelten als zu komplex, zu teuer oder zu schwer planbar. Doch genau deshalb müssen sie Priorität haben. Dieser Bericht zeigt gravierenden Lücken bei der Erreichung und Unterstützung dieser Kinder. Lücken, die Hilfsorganisationen wie War Child nicht allein schließen können.

– Sofia Papadopoulou, War Childs Regionalberaterin für psychosoziale Unterstützung und Kinderschutz in der Ukraine

Eltern berichten von unmöglichen Entscheidungen

Die Ergebnisse sind alarmierend. Innerhalb von zehn Monaten nach Beginn der russischen Invasion sank der Anteil der Familien mit Zugang zu Unterstützungsangeboten von 80 % auf 47 %.

Viele Familien konnten nicht fliehen, weil der Transport nicht barrierefrei war. Einige Verantwortliche sagten ihnen ausdrücklich, dass eine Evakuierung mit Rollstuhl „nicht möglich“ sei. Andere behaupteten, die Bedürfnisse ihrer Kinder seien „zu schwierig“ zu berücksichtigen.

Ein Elternteil berichtete, wie es das eigene Kind durch ein Konfliktgebiet trug – nach Tagen des Wartens in einem Bahnhof ohne jegliche Hilfe. Andere Eltern mussten die unmögliche Entscheidung treffen, ihr Kind in einer Einrichtung zurückzulassen.

Psychische Unterstützung gibt es kaum, obwohl sie dringend gebraucht wird. Kinder mit Behinderungen reagieren besonders empfindlich auf den Stress durch Beschuss und Vertreibung. Familien erzählen von emotionalem Rückschritt, besonders bei autistischen Kindern. Eine Mutter sagte:

Mein Sohn war seit über einem Jahr nicht mehr beim Therapeuten. Sein Verhalten hat sich komplett verändert.

Fehlende Barrierefreiheit kostet Leben

Der Krieg hat auch das fragile Netz an Gemeinschaftsdiensten zerstört, auf das viele Familien angewiesen waren. Sonderpädagogik, Physiotherapie und Grundversorgung sind in vielen Regionen zusammengebrochen oder werden militärisch genutzt. Eltern berichten, dass sie monatelang keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten und professioneller Unterstützung hatten. Das wirkt sich verheerend auf die Entwicklung der Kinder aus.

Besonders besorgniserregend ist, dass die jahrelangen Bemühungen um die De-Institutionalisierung rückgängig gemacht wurden. Ohne Unterstützung in der Gemeinschaft und unter großem Druck sahen sich manche Familien gezwungen, ihre Kinder wieder in Heime zu geben. Eine Betreuerin in Charkiw sagte dazu:

Schon vor dem Krieg mussten wir um Hilfe kämpfen. Jetzt fühlen wir uns komplett vergessen.

Bericht fordert sofortiges Handeln

Der Bericht wurde im April 2025 fertiggestellt, aber bisher nicht veröffentlicht. Er basiert auf Umfragen und Fokusgruppen mit Familien, Betreuern und lokalen Experten in der Ukraine. War Child führte die Studie gemeinsam mit AUFCR und Montessori UA durch.

Der Bericht fordert die ukrainische Regierung, humanitäre Organisationen und internationale Geldgeber zu sofortigem Handeln auf. Kinder mit Behinderungen müssen bei allen Maßnahmen berücksichtigt werden. Dazu gehören barrierefreie Evakuierung und Unterkünfte, angepasste psychosoziale Angebote, Unterstützung für inklusive Bildung und Finanzierung gemeinschaftlicher Betreuungsmodelle.